Montag, 11. April 2011

Trauer um Juliano Mer Khamis

Die letzten Wochen vergingen rasant. Letzte Woche bin ich in Mazedonien gewesen und habe dort zwei unserer Projekte - also des Forum Ziviler Friedensdienst (forumZFD) - besucht. Zu meiner Reise und meinen anderen Erlebnissen werde ich im Laufe dieser Woche schreiben. Zunächst möchte ich euch aber, wie der Titel schon verrät, auf eine sehr traurige Nachricht hinweisen: Wie einige sicherlich schon gelesen haben, ist Juliano Mer Khamis (52), der Leiter des Freedom Theatres in Jenin, letzte Woche wenige Meter von seinem Theater entfernt kaltblütig erschossen worden. Sein kleiner Sohn und dessen Babysitterin waren mit im Auto, sind aber verschont geblieben.

Juliano war der Sohn einer jüdischen Israelin und eines christlichen Palästinensers. Er bezeichnete sich selbst als 100% Palästinenser und 100% Israeli. Er kritisierte sowohl die israelische Besatzung scharf als auch den palästinensischen Konservatismus. Er verkörperte gewissermaßen den Konflikt und fand für sich die Lösung in der Kunst, der Schauspielerei. Julianos Mutter Arna hatte in den 1980er Jahren - zuzeiten der ersten palästinensischen Intifada - im Flüchtlingslager von Jenin ein Theater für Kinder und Jugendliche aufgebaut. Nachdem sie 1994 starb führte Juliano das Theater weiter. Im Herbst 2000 begann die zweite palästinensische Intifada. Viele der Jungs, mit denen Arna und Juliano gearbeitet hatten, waren in Kämpfen mit den Israelis involviert. Einige von ihnen, die als Kinder noch von ihren Träumen, Schauspieler zu werden, gesprochen hatten, sahen den einzigen, schrecklichen Ausweg im Selbstmordattentat innerhalb Israels. Dies veranlasst Juliano dazu, einen Dokumentarfilm über die Arbeit seiner Mutter und die Kinder des Theaters in den 1980ern und Anfang 2000 zu drehen. Der Film "Arna's Children" prämierte im Jahr 2003 und ist eine der sehenswertesten Dokumentationen zum israelisch-palästinensischen Konflikt. Hier ist der Trailer zu dem Film (leider nur auf Englisch):



Das Theater von Arna wurde während der zweiten Intifada zerstört, aber Juliano baute ein neues, ein größeres Theater im Flüchtlingslager auf und nutzte es, um den Kindern und Jugendlichen im Lager zumindest ein bisschen kreative Freiheit zu geben - einen Weg, ihre Gefühle künstlerisch auszudrücken. Für ihn war es kultureller Widerstand, eine kulturelle Intifada. Hier ist ein Video zum Freedom Theatre, in welchem Juliano seine Arbeit und seine Ansichten erklärt (auf Englisch):



Das Freedom Theatre befindet sich im Flüchtlingslager Jenin, nur zehn Minuten zu Fuß vom Zentrum der Stadt. Während meiner drei Monate in Jenin bin ich einige Male im Theater gewesen, habe im Garten vom Cinema Jenin oft mit Schauspielern und Mitarbeitern des Theaters Kaffee getrunken und gelacht. Rabea, einer der Schauspieler, ist auf den ersten Blick ein lustiger Kerl: Er macht viele Witze, ist oft am Grinsen und verbreitet gute Laune. Wenn er aber anfängt, von sich zu erzählen, steht man als 'Westler' schnell ohne Worte da: Auch er kämpfte während der zweiten Intifada gegen die israelische Besatzung, wurde mehrfach angeschossen. Bei einem Angriff der israelischen Armee kam Rabeas Schwester ums Leben. Rabea sagt, er fühlt sich für ihren Tod verantwortlich, denn schließlich hatten die Soldaten nach ihm gesucht... Und trotz dieser für uns unmöglich nachvollziehbaren Geschichte, hat Rabea seinen Humor nicht verloren, ist am Spaßen. Ein anderer deutscher Freiwilliger, Robert, hat mit Rabea und einigen anderen damals einen Kurzfilm gedreht - auf dem Markt in Jenin, in einem Hotel - ich war als Fotograf mit dabei, hatte mit allen zusammen viel Spaß - hier ist das Video:



Ich bin mir sicher, dass es auch Juliano war, der Rabea geholfen hat, seine Freude und seinen Humor nicht zu verlieren. Und nun ist Juliano ermordet worden... Es war ein Palästinenser, soviel steht fest, aber wer ist war, das hat die Polizei bisher noch nicht herausgefunden. Ich selbst habe Juliano nur ein paar Mal flüchtig gesehen, aber ihn leider nicht richtig gekannt. Aber von den Erzählungen und insbesondere den Videos von ihm und mit ihm wird leicht erkennbar, was für ein charismatischer Mann er gewesen ist, mit wieviel Energie er für diese, für seine Jugendlichen in Jenin gearbeitet hat. Für sie hat er sein Leben als erfolgreicher Schauspieler verlassen und es ihnen und ihrer Zukunft, an die er glaubte, geschenkt. Und nun wurde Juliano Mer Khamis erschossen. Er hinterlässt seine mit Zwillingen schwangere Frau, eine Tochter, einen Sohn und die Träume und Wünsche des Freedom Theatres. Mir fehlen noch immer die Worte...

Ende letzter Woche ist Juliano in einem kleinen Kibbutz neben seiner Mutter Arna beerdigt worden. Einige Palästinenser haben von den israelischen Behörden die Erlaubnis erhalten, nach Israel auszureisen, um an der Beerdigung teilzunehmen. In der Hafenstadt Haifa gab es eine öffentliche Zeremonie, in einem Theater, in dem Juliano auch gearbeitet hatte. Einer meiner palästinensischen Freunde, Amjad, ist dort gewesen. Es war sein erstes Mal in Israel... und er hat den Sarg von Juliano in einer Prozession mit mehr als 2.000 Menschen durch die Stadt getragen. Julianos Tochter - vielleicht sieben oder acht Jahre alt - stand bei der Trauerfeier im Theater auf der Bühne und sagt: "Papa liebte den Frieden. Er wollte Freiheit für Jenin, er war gegen die Mauer und er war ein Mensch, der jeden akzeptierte. Er wollte Frieden zwischen Arabern und Juden." Hier ist der Artikel (aus der israelischen Zeitung Ha'aretz), aus dem ich das Zitat habe. Darin ist auch eine Foto-Gallerie von der Beerdigung:

Ha'aretz: Family and Friends Say Goodbye

Heute früh hat Richard C. Schneider, Redakteur beim ARD und Korrespondent im Nahen Osten, einen Beitrag zu Juliano und dem Mord an ihm veröffentlicht. Dieser ist wirklich sehr sehenswert und ihr könnt ihn auf folgender Seite abrufen. Damit verabschiede ich mich für heute. Meine Gedanken sind bei meinen Freunden in Jenin...

Richard C. Schneider: Die Geschichte des Juliano Mer Khamis

P.S.: Hier ist ein weiterer Beitrag von der Deutschen Welle:

Tod der Freiheit - Mord an einem jüdisch-arabischen Theatermann